Amateur Theatre Research

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An der Uni München gibt es ein Forschungsprojekt namens „Amateur Theatre Research“ in Kooperation zwischen Deutschland, Frankreich, Schweden, Schweiz und Großbritannien. Das Projekt untersucht die Geschichte und Bedeutung des Amateurtheaters für Gesellschaft und Kultur. Dafür wurde vom Projekt eine Datenbank gegründet, die zukünftig weiter ergänzt werden soll. Die Datenbank ist wie Wikipedia angelegt, sodass eigenständig beigetragen werden kann.

Link zur Datenbank:

www.amateur-theatre-wiki.gwi.uni-muenchen.de/index.php/Main_Page

Link zum Projekt:

www.p-citizens.gwi.uni-muenchen.de/

Projektübersicht

Das Projekt stellt die These auf, dass das Amateurtheater zwischen 1780 und 1850 eine bedeutende Rolle bei der Herausbildung eines modernen Konzepts von Staatsbürgerschaft spielte. Rund um die gesellschaftlichen Aktivitäten und die aufgeführten Texte entstand eine breit angelegte Bewegung, die womöglich einen größeren Einfluss hatte als das professionelle Theater, das bisher fast ausschließlich im Fokus der Theatergeschichtsschreibung stand.

Dies wird das erste historiographische Forschungsprojekt sein, das die Funktion des europäischen Amateurtheaters in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und der Schweiz und ihre jeweiligen Auswirkungen auf die Bildung als solche und die Herausbildung des modernen Subjekts als „Bürger“ untersucht. Das Konzept der „Staatsbürgerschaft“ wurde von Denkern der Aufklärung gefördert und nach der amerikanischen und französischen Revolution politisch verwirklicht. Um 1800, in einer Zeit tiefgreifender politischer Veränderungen und gesellschaftlicher Veränderungen, bot das nichtprofessionelle Theater enorme pädagogische Möglichkeiten für den Erwerb von Fähigkeiten und Kompetenzen, die als wesentlich für die Entwicklung eines „guten Bürgers“ galten. Diese pädagogischen, sozialen und künstlerischen Praktiken dienten dazu, die verfügbaren Konzepte von Staatsbürgerschaft im Leben der Menschen zu verankern und so zu einer gelebten und unmittelbar erfahrbaren Bürgeridentität beizutragen. Ursprünglich aus elitären Privatkreisen stammend, wurden Amateurtheater bald von der aufstrebenden Mittelschicht und von der Arbeiterklasse übernommen. Nichtprofessionelle Theaterpraktiken und die sie umgebenden sozialen Aktivitäten eröffneten weniger privilegierten sozialen Gruppen die Möglichkeit, ihre Bürgeridentität zu entwickeln und auszuleben; besonders Frauen waren fasziniert von den Möglichkeiten, die sich ihnen boten, ihre politische, soziale und kreative Handlungsfähigkeit auszuleben.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Aktivitäten vor und nach der Aufführung, die in der Amateur- und Laientheaterpraxis eine wichtige Rolle spielen und ein ganzheitliches Konzept des Theaters als kulturelles und soziales Ereignis ermöglichen. Berichte über Proben, geselliges Beisammensein, Auswertung von Aufführungen, Organisation und Verwaltung, Verhandlungen über Genehmigungen und rechtliche Schritte geben Einblick in die Dynamiken und Prozesse in Amateur- und Laientheaterstrukturen und deren Auswirkungen auf die Gemeinschafts- und Identitätsbildung.

Die historische Untersuchung des Beitrags nichtprofessioneller Theaterpraktiken zur Etablierung und Mainstreaming von Staatsbürgerschaft hat das Potenzial, wichtige Erkenntnisse über die wichtigsten erzieherischen und gesellschaftspolitischen Potenziale von Aufführungspraktiken in Zeiten des Wandels zu gewinnen. Dies wird heute noch wichtiger, da die demokratischen Grundlagen Europas durch politische Extremisten, den globalen Kapitalismus und nicht zuletzt durch Pandemiebedrohungen in Frage gestellt werden. Ein erneuter Blick auf die frühen Momente der Staatsbürgerschaft und die Versuche, ihre Wertesysteme durch soziale Praxis und Aufführungspraxis zu etablieren, wird die Bedeutung kleiner, sich wiederholender Handlungen offenbaren, die dem Kern demokratischer Prinzipien Gestalt verleihen und so wirksam zur Verwirklichung von Staatsbürgerschaftsmodellen beitragen. Hier Theater zu machen und zu erleben bedeutet, Bürger zu werden.

(Quelle: https://www.p-citizens.gwi.uni-muenchen.de/research)

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